„Die 1.100 wichtigsten Gedichte der deutschen Literatur zwischen 1730 und 1900“ ist eine Liste von Gedichttiteln, die die Universität von Freiburg im Breisgau im Internet veröffentlicht hat. Die Liste wurde im Rahmen des Projekts „Klassikerwortschatz“ unter der Leitung von Prof. Knoop erarbeitet.

Die Universität, die die Kosten des Projekts in Höhe von insgesamt 34 900 Euro trug, sieht sich durch den Vertrieb einer CD-ROM mit dem Titel „1000 Gedichte, die jeder haben muss“, durch die Firma Directmedia in ihren Rechten verletzt. Von den Gedichten auf dieser CD-ROM stammen 876 aus der Zeit zwischen 1720 und 1900; hiervon sind 856 auch in der von Herrn Knoop erarbeiteten Liste von Gedichttiteln benannt.

Directmedia hat sich nämlich bei der Zusammenstellung der Gedichte auf ihrer CD-ROM an dieser Liste orientiert. Sie hat einige der dort angeführten Gedichte weggelassen, andere hinzugefügt und die von Herrn Knoop getroffene Auswahl jeweils kritisch überprüft. Die Gedichttexte selbst hat Directmedia eigenem digitalem Material entnommen.

Der Bundesgerichtshof, der bereits der Klage von Prof. Knoop als Schöpfer eines Sammelwerks stattgegeben hat, ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Rechtsstreits, soweit sich Directmedia und die Universität gegenüberstehen, von der Auslegung der Datenbankrichtlinie1 abhängt. Der Bundesgerichtshof fragt sich, ob die unter solchen Umständen erfolgte Übernahme des Inhalts einer Datenbank eine „Entnahme“ im Sinne der Richtlinie ist, die der Hersteller der Datenbank untersagen kann.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Hersteller einer Datenbank, wenn er deren Inhalt Dritten – und sei es gegen Entgelt – zugänglich macht, die Dritten nicht an der Abfrage der Datenbank zu Informationszwecken hindern darf.

Erst wenn für die Darstellung des Inhalts der Datenbank auf dem Bildschirm die ständige oder vorübergehende Übertragung der Gesamtheit oder eines wesentlichen Teils dieses Inhalts auf einen anderen Datenträger erforderlich ist, kann die betreffende Abfrage von der Genehmigung des Herstellers abhängig gemacht werden.
Der Begriff der „Entnahme“, die der Hersteller einer geschützten Datenbank untersagen kann, ist dahin zu verstehen, dass er jede unerlaubte Aneignung der Gesamtheit oder eines Teils des Inhalts einer Datenbank erfasst. Auf die eingesetzten Mittel und Formen kommt es nicht an.

In diesem Zusammenhang ist es für die Frage, ob eine „Entnahme“ vorliegt, unerheblich, ob die Übertragung auf einem technischen Verfahren der Kopie des Inhalts einer geschützten Datenbank wie einem elektronischen, elektromagnetischen, elektrooptischen oder ähnlichen Verfahren beruht. Das Kopieren des Inhalts einer solchen Datenbank auf einen anderen Datenträger erfüllt selbst in Form des Abschreibens den Tatbestand der Entnahme ebenso wie ein Datei-Download oder eine Fotokopie.

Zudem kann der Begriff „Entnahme“ auch nicht auf Handlungen beschränkt werden, die die Übertragung der Gesamtheit oder eines wesentlichen Teils einer geschützten Datenbank betreffen. Schließlich steht der Umstand, dass in einer Datenbank enthaltene Elemente erst nach kritischer Prüfung durch den Urheber der Übertragung in eine andere Datenbank übernommen werden, nicht der Feststellung entgegen, dass eine Übertragung von Elementen der ersten Datenbank zur zweiten stattfindet.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass die Übernahme von Elementen aus einer geschützten Datenbank in eine andere Datenbank aufgrund einer Bildschirmabfrage der ersten Datenbank und einer im Einzelnen vorgenommenen Abwägung der darin enthaltenen Elemente eine „Entnahme“ sein kann, die der Hersteller der Datenbank untersagen kann, soweit es sich bei dieser Operation um die Übertragung eines in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentlichen Teils des Inhalts der geschützten Datenbank oder um die Übertragung unwesentlicher Teile handelt, die durch ihren wiederholten und systematischen Charakter möglicherweise dazu geführt hat, dass ein wesentlicher Teil dieses Inhalts wiedererstellt wird; die Prüfung, ob dies der Fall ist, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

EuGH, Urt. v. 09.10.2008 – Az.: C-304/07

Quelle: Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes vom 09.10.2008